Concours des Corbeaux, Tag 2 auf der via apia

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cdc_36Nachdem wir am ersten Tag bereits eine Erfolgsquote von sagenhaften 96 % erreicht hatten, konnte am zweiten gar nichts mehr schief gehen. don ferrando war mit an Bord und auch Helga und Hannes erwarteten uns guter Dinge am Start in Österreich. Der Vortag war in weiten Teilen eine Fahrt durch den Leipziger Süden mit der durch die Flutung der ehemaligen Tagebauten entstandenen Seenlandschaft. Diese Gegend kannte ich von vielen Radausflügen recht gut, auch eine Reihe der dortigen Apelsteine. Vom Leipziger Norden ließ sich das nicht sagen. Dort gibt’s Ecken, in denen war ich noch nie und ganz ehrlich gesagt, da gibt’s Ecken, die es aufzusuchen keinen Grund gibt. Dann kam alles ganz anders und wir haben in diesen urbanen Bereichen Flecken entdeckt, die ich gar nicht vermutet hatte.

Wir starteten mangels Pressetermin früher als am Tag zuvor und dank Hannes‘ Ortskenntnis auch von kleinen Schleichwegen kamen wir flotter voran, als wenn ich alleine die Markierungen auf der Karte hätte auswerten müssen.

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cdc_41_2In Baalsdorf machte es uns der Apelsteinweg leicht, in Mölkau gab es auch für die Leipziger Neuland zu entdecken. Ein kleiner, historischer Bergfriedhof war Standort des nächsten Steins. Diesen Friedhof kannte noch keiner, nicht einmal die von uns nach dem Weg befragten Leute, die gerade ins Haus direkt gegenüber einzogen.

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cdc_46Es blieb weiterhin grün, die nächsten Steine lagen im Volkshain Stünz und im Nordost Volksgarten. Obwohl weithin sichtbar gelegen, kreisten wir alle auf der Suche nach den Steinen erst einmal mehrfach durch den Park. Von den Originalsteinen aus dem Jahre 1863 ist ja nur noch einer erhalten und von den im Laufe der vielen Jahre geschaffenen Nachbauten haben einige womöglich eine andere Form erhalten. Kurz, wir waren uns zunächst nicht sicher, ob das nun wirklich ein echter Apelstein ist oder nicht.

cdc_42Das Wetter spielte, wie man sieht, auch an diesem Tag mit. Anders als die damaligen Soldaten hatten wir gegen gutes Wetter ja nichts einzuwenden. Wir mussten keine Waffen bedienen, deren Zündpulver bei Regen nass wurde, was früher das wechselseitige Herbeiführen eines vorzeitigen Ablebens erschwerte. Wie schon erwähnt, steht in Leipzig dieses Jahr alles im Zeichen der Völkerschlacht. So auch die Süßigkeiten, mit denen uns Helga versorgte und die uns wegen der Schludrigkeit meinerseits bei der Planung der Verpflegungspunkte sehr zu Pass kamen.

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Unser weiterer Weg führte uns von Osten her ins Leipziger Zentrum, wo wir uns aber nicht lange aufhielten. Einmal drum herum, „hier: die Oper, da: das Gewandhaus, dort: die Uni, da vorne: der Marktplatz. Gut, danke, das muss reichen.“ Wir haben ja keine Touristenführung gemacht, sondern das Stadtgebiet in alle Himmelsrichtungen abgefahren mit umgeschöntem Blick auf die gesamte Stadt. Keine Potemkinschen Dörfer wie bei früheren Staatsbesuchen, als man für den Staatsgast die Häuserfronten gestrichen hat, während auf der Rückseite das Mauerwerk bröckelte

dcdc_48on ferrando war sofort auf einer Wellenlänge mit uns: Die Mädlerpassage guckt sich jeder an, welcher auswärtige Gast aber entdeckt Apelstein Nr. 39?

Am Zoo vorbei gelangten wir mit einem Stopp am Apelstein am Nordplatz durch Gohlis zur Georg-Schuhmann-Straße, die sicherlich nicht zum Vorzeigen einlädt. Aber: siehe oben, und außerdem gibt es dort zwei Apelsteine. An einem von ihnen mussten wir den Anblick aktueller Wahlkandidaten ertragen und weil wir uns für keinen von ihnen begeistern konnten, haben wir unseren eigenen Mann ins Spiel gebracht.

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Am Straßenbahnhof zur Linkelstraße brachten wir das nächste Bild unter, bevor wir zum am gleichnamigen See gelegenen Haus Auensee abbogen, dem nächsten Pausenpunkt. Hier durften sich alle ausruhen, Hannes unterbrach seinen Tag mit uns, um mal eben mit seiner Band aufzutreten, bevor er sich wieder zu uns gesellte.  

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Eric und ich machten uns auf den Weg zu unserem zweiten Einzelzeitfahren. Das führte uns über den Luppedamm bis zur Gundorfer Linie, die etwa zwischen Schlobachshof und der Domholzschänke abzweigt. Anstatt nun über die Dölziger Straße direkt nach Schkeuditz zu fahren, wo ein einzelner Stein weit abseits von unserer Route lag, wählte ich die landschaftlich reizvollere Strecke durchs Grüne.

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Kurz vor Schkeuditz am Hundeplatz abgebogen rauschten wir mit Vollgas über den Schotter durch den Wald. „Landschaftlich reizvollere Strecke“ ist als Motivation meiner Wegwahl ein wenig geflunkert. Denn obgleich meine Herzfrequenz schon weit in die Höhe getrieben war, mein Mitstreiter hielt mit. Zumindest das Rauchen während des Fahrens hatte er aber eingestellt. Jedenfalls, ich habe die Verhältnisse ein klein wenig erschwert und ganz zum Schluss noch einen kleinen Kopfsteinpflasteranstieg mit 20+ Prozent eingebaut. Wollen wir doch mal sehen, wie ihm der schmeckt! Aber auch da hat er sich wacker geschlagen und erst auf dem letzten Meter den Fuss vom Pedal genommen.  Ich mache da nicht nur Spaß, wenn ich im Vorfeld von Anstrengung und Zeitfahren spreche und alle Achtung, der Eric hat sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen.

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Apelstein Nr. 44 liegt direkt vor der Psychiatrie in Altscherbitz. Diesen Stein hatte ich vorsorglich schon einmal angesteuert. Wir wollten mit der Sache nicht zu viel Zeit verlieren und die anderen nicht zu lange warten lassen. Mit mindestens 160er Puls ballerten wir den Weg zurück, ob die Hinterräder auf dem Schotter ausbrachen oder Schlaglöcher uns durchrüttelten. Welch ein Glück, so kam es mir in den Sinn, dass justbiking wegen seines kurzfristigen Urlaubs nicht dabei sein konnte. Mit ihm noch vorneweg wäre das ein Massaker geworden. So jedoch war er mit seinem Rad in Danzig schön weit weg… 😉

Nachdem wir uns am Auensee wieder zusammengefunden hatten, bewies Eric, dass er sich in Lindenthal schon wieder erholt hatte.

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Dann Blücher. Die schlesische Armee mit 60.000 Mann. Ich will gar nicht daran denken, welchen Aufwand es bedeutete, die alle zu verpflegen – und wie es um die Lagerplätze herum aussah, nachdem 60.000 Soldaten ihre Notdurft verrichtet hatten.

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Da spielt er, der Blücher, mit seinen kleinen Soldaten.

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Von den nördlicheren Regionen führte uns ein Feldweg wieder hinunter in Richtung Gohlis, wo wir in der Max-Liebermann-Straße erst einen Apelstein enteckten und dann einen weiteren. Dort hatte ich es eilig. Das Stadion des Friedens. Zielankunft von Friedensfahrtetappen, wie carodame und Helga zu berichten wussten. Heute Spielstätte von Mogono, von Motor Gohlis-Nord. Der Rasen und die Leichtathletikanlangen tadellos, die Ränge geschliffen, die Gebäude mit abblätterndemPutz. Viele Zuschauer scheinen sich nicht mehr einzufinden.

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Eutrizsch besuchten wir nicht nur wegen eines Apelsteins, sondern um das Wohnhaus von don ferrandos Großmutter in der Theresienstraße aufzusuchen. Vielleicht erinnert sich sein Herr Papa ja noch daran, wenn ich ihm die Fotos geschickt habe.

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Fünf Steine und ein Gewerbegebiet in Schönefeld lagen noch vor uns. Mittlerweile waren wir bereits viele Stunden auf den Beinen und im Sattel. Die Stimmung war noch immer prächtig. Helga hatte Hannes‘ Navigationspart übernommen. don ferrando, der auf jedem Foto ein Lächeln im Gesicht hat, bewies schnelle Auffassungsgabe, sekundierte mir  und verinnerlichte meinen Stadtplan im Nu. fritz lieferte wie schon am Vortag zuverlässig und in bewährter Manier die Angaben aus dem Verzeichnis der Apelsteine.

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Wir lagen diesmal gut in der Zeit und erreichten den vorletzten Stein vor der Kleingartenanlage An den Theklafeldern. Den will ich nicht zuletzt deshalb zeigen, weil wir zwischenzeitlich eine bemerkenswerte Zuschrift von jemandem erhalten haben, der sich vor Jahrzehnten als zehnjähriger Schüler mit einem Verzeichnis von 1910 auf die Suche nach den Apelsteinen gemacht hatte. Stein Nr. 40, der von Bogues englischer Raketenbatterie,  (ich habe keine Vorstellung davon, was 1813 eine „Raketenbatterie“ gewesen ist) sei in der DDR-Zeit auf einem sowjetischen Truppenübungsplatz verschütt gegangen. Wir zeigen daher gerne diesen Apelstein und würden uns freuen, den Lyrikband unseres Lesers zu verlinken, wenn er damit einverstanden ist.

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Dann war es fast geschafft. Erneut lag mit dem letzten Apelstein auf unserer Tour einer nicht am Wegesrand. Auf dem Friedhof in Paunsdorf Sellerhausen stand er.

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Damit wurde es auch Zeit, nach Hause zurückzukehren. Die Akkus waren leer, wie die aufkommenden Fragen, wie weit es jetzt noch zurück bis zur casa kreuzbube sei, zeigten. Ausnahmslos alle haben aber tapfer durchgehalten. Erwähnen muss ich noch, dass don ferrando das polka dot jersey gewonnen hat, indem er mich gleich zwei Mal von meinem Hinterrad aus, aus dem Windschatten heraus düpierte. Ich werde künftig darauf achten müssen, was ich schreibe. Die lesen das hier ganz genau mit und verwenden es gegen mich. An fritz geht die Wertung für den besten Newcomer, hat er doch erst drei Tage zuvor sein Rad bekommen und zuvor noch keinen Rennradlenker in der Hand gehabt. Dann gleich fast 150 km abzuspulen, das muss man erst einmal machen. Helga hat den durch carodame ohnehin schon hohen Charmefaktor noch einmal in die Höhe schnellen lassen. Dass beide Damen ausdauernd und auch dieses Jahr noch einmal schneller als zuvor fahren können, muss ich angesichts ihres unangestrengten Pedalierens nicht betonen.  Hannes schließlich hat kurzerhand mit einer großzügigen Geste alle Getränke des Abends übernommen, besten Dank dafür noch einmal, mein Lieber. 

Der Abend endete, nachdem wir uns an einer Tanke noch mit Ausgaben der LVZ für jeden versorgt hatten, in Igor Mozaks Telegraph, wo wir uns russische Pelmeni schmecken ließen. Dort stellte sich auch der bekannte Effekt ein, dass Stunden nach der Anstrengung der große Hunger kommt.  Da passt dann kurzerhand eine zweite Portion hinein in den Radfahrer und auch auch noch ein Kaiserschmarrn hinterher. Gegen Mitternacht habe ich mich dann als schlechter Gastgeber bewiesen und meine Gäste beim Wein sich selbst überlassen. Ich musste einfach dringend ins Bett.

Das also war unser zweiter Tag des Concours der Corbeaux und wer bis hierher aufmerksam gelesen hat, hat bemerkt, dass noch etwas fehlt.

Fortsetzung folgt.                                zurück zum ersten Tag des Concours des Corbeaux
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17 Antworten zu Concours des Corbeaux, Tag 2 auf der via apia

  1. donferrando schreibt:

    Soweit ich mich erinnere, haben wir das Bild tatsächlich auf dem Friedhof Sellerhausen ausgesetzt beim Apelstein N° 48.

    • kreuzbube schreibt:

      „Ertrunken durchs Nasenloch“ haben wir auf dem Friedhof in Sellerhausen ausgesetzt. Weil ich aber nicht weiß, wo Sellerhausen aufhört und wo paunsdorf anfängt, habe ich Paunsdorf draus gemacht. Wichtig ist: Wir haben beim Betreten des Rasens keine Blumen zertrampelt. Das ist dort nämlich sehr schön angelegt, der Eingangsbereich. Sehr freundlich und licht und nicht so schwermütig. Ein Lob dem Friedhofsgärtner!

  2. fazernixe schreibt:

    Hallo-kleiner hinweis-
    das bild- „ertrunken durch das nasenloch“- ist durch mich gefunden wurden * freu*-
    aber nicht auf dem friedhof paunsdorf (hohentichelstr.) -sondern auf dem friedhof sellerhausen (riesaer str.)
    viele grüße aus leipzig
    fazernixe

  3. kreuzbube schreibt:

    Also, ich weiß nicht, ob ich den wirklich probieren werde…

  4. prieditis schreibt:

    Ja, so ist das um diese Uhrzeit. Da kommen dann so komische Gedanken und dann fang ich in aller Regel an, zu malen. Wenn ich nicht male, dann fange ich an zu schwätzen.
    Alleine unter diesem Aspekt kann ich es mir auch erklären, wie ich auf eine Kuchenkreation kam, die sich Knoblauch-Nuss nannte…

  5. prieditis schreibt:

    Und dann die Lesefähigkeit (der russischen Schrift) des fritz_, die ja ein Fundament des Humanismus ist, dessen sich die Teilnehmer im Jahre 1813 sich nicht so recht rühmen durften…
    Also, Hut ab!

  6. prieditis schreibt:

    Mich haben die Adleraugen des frtz_ beeindruckt!
    Wo ich einen Taubendreck wähnte, sah er klar und deutlich die Hausnummer zum Stein. Irre!
    Besonders berührt hat mich allerdings die andere Geschichte mit den Hausnummern.
    Da war die ganze Anstrengung auf einen Schlag vergessen.

  7. fritz_ schreibt:

    fritz zuverlässig und in bewährter Manier
    Orr, wie ich das hasse! 🙂 Mittlerweile, wenn ich auf Arbeit einem verstockten Langweiler eins reinwürgen will, schreibe ich ihm genau das ins Arbeitszeugnis! 🙂 Anarchy in the UK!

  8. donferrando schreibt:

    Haha!
    Eigentümer des Colnago bin ich zwar noch nicht, aber das Verpflichtungsgeschäft ist abgeschlossen und die Übereignung wird auch noch passieren, denn bei meinem nächsten Leipzig Besuch laß ich mich nicht durch Kreuzbubes fünfte Kolonne durch Kanonenkugeln einlullen!
    Und außerdem werde ich dieses Jahr noch auf Ginos Hausstrecke trainieren und dazu brauche ich den Laubfrosch, denn das orangerote Legnano wird mir der Kreuzbube nie überlassen !

  9. mark793 schreibt:

    Hehe, dass don ferrando ein alter Fuchs mit einem Sack voller Tricks ist, hatte ich ja die ganze Zeit schon geargwöhnt. Seine Geschichten von überholenden buckligen Weiblein mit Kiepe auf dem Rücken und irgendwelchen Schmetterlingen, die ihm beim Überbrücken der Autobahn spielend leicht durch die rotierenden Speichen fliegen, sollten die Mitfahrer vor den Bergwertungen in falscher Sicherheit wiegen, bevor der Überraschungsangriff erfolgt.

    • kreuzbube schreibt:

      Das ist ihm gelungen. Eingelullt wie ich war, hatte ich gar nicht damit gerechnet, dass mir Gefahr drohen könnte. Viel schlimmer jedoch, dass carodame ihm kurzerhand für einen billigen Tauschhandel meinen Colnago-Crosser überlassen wollte. Zum Glück bin ich abgesichert, die beiden konnten mich hierbei nicht juristisch übertölpeln.

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