Concours des Corbeaux, Tag 3 auf der via apia

Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder (Lilian Harvey in Der Kongress tanzt, 1931)
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Richtig! Ein Stein fehlt noch. Jener, an dem wir Freitagnacht im Dunkeln vorbei stolperten. Seien wir doch mal ehrlich: Wie sollten wir den denn auch sehen?  Ein Stück zurückgesetzt. Ringsum bewachsen. Im Stockfinsteren, mit Gestrüpp und Bäumen auch rings herum in der direkten Nachbarschaft.

cdc_99 Am Sonntagmorgen haben wir uns dann vor die Stirn gehauen: Wir hatten ja direkt davor gestanden beim ersten Anlauf. Zu unserer Entschuldigung sei gesagt, dass wir da einfach nur noch nach Hause wollten. Unterwegs hatten wir schon an weitere Beschleunigungsmaßnahmen gedacht. Aus voller Fahrt, amerikanischen Zeitungsboten gleich, wollten wir die Bilder an die jeweiligen Apelsteine werfen, ohne anzuhalten. Zack! Erledigt! Nächster!

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Apelstein Nr. 9, der letzte uns noch fehlende, wurde von uns allen mit dem Auto aufgesucht. Rad gefahren waren wir genug. Sauber und zivil gekleidet wollten wir -klar- noch das Völkerschlachtdenkmal besichtigen und besteigen und anschließend das große Gasometer besuchen, in welchem Yadegar Asisi ein gigantisches Rundbild nebst Ausstellung zur Völkerschlacht 1813 geschaffen hat. Leipziger und Leipziger Besucher, lasst euch das nicht entgehen! Ein 360 Grad-Panoramabild, das 110 Meter lang ist und 30 Meter hoch, untergebracht im riesigen, alten Gasometer, seht ihr andernorts nicht alle Tage.

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Um das Bild herum führt eine Ausstellung, die Leipzig im beginnenden 19. Jahrhundert zeigt und die auch das Zustandekommen des Schlachtgeschehens erläutert. Hat man das Bild durch diese Ausstellung hindurch einmal umrundet, dann tritt man ein, mitten ins Zentrum Leipzigs, in dem gerade die Völkerschlacht tobt. Ein Besichtigungsturm geleitet den Besucher nach oben und dort sieht er, aus der Perspektive von einem Kirchturm aus, was in der Stadt rings um ihn gerade geschieht. All das ist mit einer solchen dreidimensionalen Perspektive versehen, dass man Gebäudeteile zum Greifen nahe wähnt, während man über viele Kilometer weit ins Land zu glauben schaut. Der Wechsel der Tageszeiten wird simuliert; da krächzen abends Rabenvögel, da knistern die Holzscheite der Lagerfeuer, einzelne Soldatenstimmen intonieren in der Nacht getragene, melancholische Lieder, während man im manchen Ecken die lodernden Flammen brennender Häuser hört. Gegen Morgen zwitschern zunächst noch die Vögel, bevor der Schlachtenlärm einsetzt. Truppen ziehen vor unseren Augen durch die Stadt, es wird geschossen und geschlagen, Tote liegen herum, Verwundete werden mehr schlecht als recht versorgt. Ein Zeichner (den es tatsächlich gegeben hat) wickelt sich zum Schutz gegen umherfliegende Kugeln in Matratzen und skizziert das Geschehen. Jungen sind auf die Kirchturmspitze geklettert und klammern sich an diese, während sie auf die Kämpfe hinab sehen.

1813 ist sicherlich Asisis gelungenstes Panorama. Ich habe auch die anderen schon gesehen, 1813 geht in seiner Wirklung weit über sie hinaus. Plastischer und lebendiger kann man dieses historische Geschehen kaum darstellen, Die schiere Größe des Panoramabildes mit seiner ungeheuren Tiefenwirkung lässt den Betrachter mitten in den Kriegswirren des Oktober 1813 stehen. 

Schließlich neigt sich unser gemeinsames Wochenende dem Ende zu. fritz und don ferrando verlassen uns, Eric beibt noch ein wenig, er hat noch etwas bei uns zu erledigen. Wer bis zum Schuss dran bleibt, bekommt das als Bonus präsentiert.

Hinter uns liegen ganz besondere drei Tage. Ich weiß nicht, ob das allen schon so recht bewusst ist, das war einzigartig und lässt sich nicht wiederholen. Alleine Eric Prieditis‘ Anstrengungen, in unzähligen Nächten sage und schreibe 50 Bilder zu malen, steht schon für sich. Das dann mit einer solch intensiven, gemeinsam bewältigten Stadterkundung zu verbinden, die uns zudem noch eines der großen historischen Ereignisse des 19. Jahrhundert zu dessen großem Jahrestag erschließt, ist so kein zweites Mal denkbar. Dem Ereignis entsprechend kommen gar morbide Gedanken auf. Den nächsten großen Jahrestag, den 250., den werden wir wohl alle nicht mehr erleben. 2063 wird es womöglich keine Fahrräder mehr geben und nur Nostalgiker werden sich an die guten alten Zeiten anno 2013 erinnern, an diese herrlichen klassischen Räder, auf denen man sich noch mit Muskelkraft fortbewegte. Sollte es 2063 unter uns noch einen Überlebenden geben, dann möge er, auf den Rollator gestützt, ein letztes Bild an einem der Apelsteine ablegen, in einem kurzen Moment der sich lichtenden Demenz an den Spätsommer 2013 erinnern, als carodame, Helga, don ferrando, fritz, Hannes, kreuzbube und prieditis gemeinsam suchten, fanden und hinterließen. Eric hat ein Bild mehr gemalt, als wir gebraucht haben.

Nun entlasse ich euch mit letzten Impressionen von Leipzig in euren Alltag. Es sind dann doch noch die üblichen Ansichten geworden, aber weil wir daran vorbeikamen, festigen sie vielleicht die Bilder, die ihr im Kopf habt. (click to enlarge)

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Abspann:
carodame schwingt doch noch den Kochlöffel. prieditis zückt den Pinsel. Keiner hat sich gewundert, warum der kürassier kreuzbube nicht unterwegs war. Ganz einfach, les corbeaux haben gefehlt. Die malt Eric noch aufs Rad, bevor er nach einem letzten gemeinsamen Abendessen ebenfalls über die Autobahn nach Hause entschwindet. Ahoi!
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25 Antworten zu Concours des Corbeaux, Tag 3 auf der via apia

  1. fritz_ schreibt:

    Hihi, er hat Pinsel gesagt! 🙂

  2. kreuzbube schreibt:

    Ja, da könnte man noch einige Punkte mehr ansteuern, ein Stück westlich über die Stadtgrenze hinaus, den Napoleonradweg Richtung Jena oder auch hoch gen Magdeburg. Aber ich würde mal meinen, die 3. Leipziger Kunstaussetzung, so sie denn kommen wird, muss sich eines neuen Sujets annehmen, welches auch immer das sein mag.

    (Der Pinselschwinger und ich haben noch einen Schlusspunkt hinter den Concours des Corbeaux zu setzen, aber das ist ein anderes, nachgerade viel weiteres Feld, von dem einst noch zu erzählen sein wird.)

  3. fritz_ schreibt:

    Ist es nicht unfassbar, wie viele Geschichten es da zu entdecken gibt?
    Der Colm! Da sind Don Ferrandos und meine schlimmsten Bedenken zum Glück nicht eingetreten. Bedenken, dass wir konditionell an die Grenze geraten, weil es so schlimm bergauf geht. So, wie wir dann schließlich gefahren sind, gewaltige fünf Meter Anstieg (Hochgebirge, *lach*!).

  4. kreuzbube schreibt:

    Es wird mit Sicherheit historische Karten und womöglich auch solche wie die obige zu kaufen geben, entweder in den hiesigen Grafikantiquariaten oder im Museumsshop des Völkerschlachtdenkmals oder bei dem einen oder anderen Verein. Ich werde sie noch einmal zum Vergrößern hochladen, dann erkennt man mehr.

    Standort Friedhof Seifertshain, fern der Südtiroler Heimat: Das Grab des Grafen de Poja, gerade einmal 22 Jahre alt wurde er, bevor er von einer Kanonenkugel tödlich verwundet wurde, als er eine Depesche an den General Klenau überbrachte. Geschehen ist das auf dem Colm, dem kleine Hügel, auf dem wir das erste Bild ausgesetzt haben.

    Grabmal des Grafen de Poja

  5. kreuzbube schreibt:

    Tafel am Lazarettmuseum Seifertshain, da könnt ihr die Standorte der Apelsteine mal nachvollziehen:

    • fritz_ schreibt:

      Hehe, da sind sie ja alle, unsere steinreichen Kumpels.
      Der Weißenwolf vom Campingplatz, der Poniatowski, der Gortschakow, der Württemberg, der Kellermann und der Kleist, der Reihe nach vom Wohngebiet (war das Markkleeberg?), von der Landstraße, vom Russendenkmal, vom Friedhofseingang, von der Anhöhe am Markkleeberger See.

      Wenn jemand so eine Karte als alternativen Stadtplan herausbrächte, ich würd’s kaufen. Oder als Plakat, fürs Schlafzimmer.

  6. kreuzbube schreibt:

    Helga schickt eine Ergänzung. Hier in Leipzig werden derzeit im Hinblick auf den nahenden Oktober Gedenksteine herausgeputzt. Wir erfahren etwas mehr über Captain Bogue (Aplestein Nr 40 vor der Kleingartenanlage „An den Theklafeldern“)

    Captain Bogue

  7. kreuzbube schreibt:

    Nachtrag. An dieser Stelle sprengten die Franzosen bei ihrer kopflosen Flucht Richtung Westen hinter sich die Brücke über den Fluss – bevor ihre eigenen Soldaten sich darüber in Sicherheit gebracht hatten.

  8. kreuzbube schreibt:

    @prieditis: Bis 20. Oktober wären das dann stündlich etwa ein halbes Dutzend Bilder.

  9. kreuzbube schreibt:

    Auf der Feierabendausfahrt nach Erfurt habe ich bei Auerstedt einen Stein entdeckt.

    Und noch ein paar mehr, ganz andere, sind mir begegnet. Aber das ist ein Geschichte, die ein paar Wochen warten muss.

    Helga und Hannes sind übrigens nach dem Concours des Corbeaux in den Urlaub gefahren und sammeln derzeit in Kärnten mit dem Rennrad täglich Kilometer und Höhenmeter.

    • prieditis schreibt:

      Als ich diesen Stein erblickte, habe ich mich zunächst furchtbar erschrocken!
      „Huch! Doch einen Stein vergessen?!“…
      Dann aber hab ich Auerstedt realisiert und alles, alles ward gut

  10. fritz_ schreibt:

    Wenn ich einmal den Herrn aus Frankfurt zitieren darf (der auf einem der Fotos auf seinem Sockel zu sehen ist) und der in seinem Theaterstück betrunkene Studenten völlig im Ernst! sagen ließ:
    „Mein Leipzig lob‘ ich mir. Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.“
    W.z.b.w.

  11. kreuzbube schreibt:

    Ergänzung: Ein Wochenende ohne einen einzigen Platten war’s, obwohl uns alle Untergründe geboten wurden.

    Vorher gut gepumpt ist hinterher meist gut gefahren. Wer die Druckverhältnisse wissen will: Auf die 28er Reifen habe ich euch 6 bis 6,5 bar gemacht, die 32er hatten etwa 4,5.

  12. kreuzbube schreibt:

    Gern geschehen! Mir hat das einen Riesenspaß gemacht – die Vorbereitung, die drei Tage selbst, die Nachbearbeitung. Und wenn dann meine Art, Rad zu fahren, Motivation für eure eigenen weiteren Radaktivitäten ist, dann ist das das Sahnehäubchen für mich.

  13. donferrando schreibt:

    Nachdem nun Teil 3 des Berichtes vorliegt, möchte auch ich noch einen letzten Kommentar zum Kunstradfahren in und um Leipzig hinterlassen.
    Es war tatsächlich ein einmaliges Erlebnis und ich hatte ausnahmslos jede Minute genossen.
    Von der überwältigenden Gastfreundschaft, die kreuzbube und carodame und angedeihen ließen, über tolle Organisation der Tour und des Begleitprogramms, bis zu den lieben Menschen, die ich kennenlernen durfte (kreuzbube, carodame,fritz,helga und hannes und eric) waren es sehr, sehr intensive Erlebnisse.
    Seit Weihnachten besitze ich schon einen Druck von Eric, aber seine Kunstwerke im Original zu sehen und ihn zu treffen, ist nochmal etwas ganz Besonderes.
    Als debutante auf dem Rennrad konnte ich von kreuzbubes reichhaltigem Erfahrungsschatz profitieren und auf dem perfekt für mich vorbereiteten Colnago crosser die für mich ungewohnt lange Strecke sehr gut durchhalten. Nicht nur durchhalten, sondern auch Motivation für weiteres Pedalieren!
    Eine Leihgabe aus der Filmothek des kreuzbuben hat mich gleich zur Planung einer speziellen Trainingsrunde im Herbst geführt.

    Summasummarum bin sehr froh, das ich mich aufgeschwungen hatte und am Concours des Corbeaux teilgenommen habe!
    Vielen Dank nochmals an alle Mitstreiter!

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