Tote Radfahrer im Park

BDR-Denkmal_4 Kopie„Adler ohne Krallen“, der erste Band der Radsporttrilogie des unlängst hier vorgestellten Christian Lax, endet mit dem Jahr 1914. Das letzte Bild enthält die Namen großer Radsportler, die bei der Tour de France nie mehr einen Siegesstrauß in den Händen halten würden, weil sie aus dem 1. Weltkrieg nicht mehr zurückkehrten. Junge, kräftige Männer wurden gebraucht an der Front und in den Schützengräben.

In Bad Schmiedeberg, etwa 60 km von meiner Haustür entfernt und Ziel unserer heutigen Erkundung einer Teilstrecke nach Berlin, hat der Bund Deutscher Radfahrer ein Denkmal zu Ehren der in den Jahren 1914 bis 1918 gefallenen deutschen Radsportler errichtet. Es ist das einzige Denkmal seiner Art. (Wie mir Twobeers vor kurzem erzählt hat, ließ einst der Berliner Radrennfahrer Franz Krupkat hinter seinem Familiengrab ein Säule für elf der im 1. Weltkrieg gefallenen Radfahrer aufstellen. Leider steht die Säule nicht mehr, Krupkats Grab dagegen schon. Krupkat selbst ist in Leipzig gestorben, erlitt einen Schädelbruch, als ihm bei Tempo 90 ein Reifen platzte. Viel mehr über Franz Krupkat kann man bei twobeers nachlesen.)

 Im Kurpark zu Bad Schmiedeberg jedenfalls steht das Denkmal, das der Bund Deutscher Radfahrer errichten ließ. Rundherum ist für jeden der ehemaligen Deutschen Gaue die Zahl der gefallenen Radsportler eingemeißelt. Ironie der Geschichte: Der Bund deutscher Radfahrer hat heute einen Präsidenten, unter dessen Führung die Bundeswehr in Jugoslawien erstmals in ihrer Geschichte in den Krieg zog. 

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Nachtrag: Dank der Bemühungen von Twobeers, der schon wieder bei der Recherche ist und sich kurzerhand mit dem BDR in Verbindung gesetzt hat, kann ich eine Ergänzung zum Radfahrerdenkmal vornehmen: 

Die Einweihung fand am 17.06.1923. Die Umstände schildert die BDR-Publikation „Tritt um Tritt“:

„Trotz strömendem Regen versammelten sich Tausende Radfahrer in und um Bad Schmiedeberg und gleichzeitig wurden in allen Gauen Deutschlands Manifestationen der Radfahrer durchgeführt, die gewaltigen Zulauf hatten.“

Nach der deutschen Wiedervereinigung machte man sich an die Sanierung des Denkmals, nachdem der Ortschronist Bad Schmiedebergs beim damaligen Vorsitzenden Vorsitzenden des Deutschen Radsportverbands der DDR (DRSV), dem natürlich auch in Leipzig hinlänglich bekannten Wolfgang Schoppe, auf offene Ohren stieß. Am 19.06.1993, fast 100 Jahr nach seiner Errichtung, wurde das Denkmal zu Ehren der im 1. Weltkrieg gefallenen Radsportler erneut eingeweiht.

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weiterer Nachtrag: Wir hatten uns, um das Denkmal herum stehend, gefragt, wie groß damals der Anteil der Kriegsopfer gemessen an der Gesamtzahl der Radsportler war. Auch dazu erteilt der BDR nun freundlicherweise Auskunft: Die Mitgliederzahl des BDR (über 46000 im Jahr 1913) halbierte sich bis 1919. Weiter dazu Andreas Götz vom BDR:

„Leider gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber es sind einige Tausend, die gefallen sind oder als Versehrte zurückkamen und nicht mehr Radsport treiben konnten. In den Zeitungen dieser Jahre standen in jeder Ausgabe seitenlang Gefallene, zum Schluss allerdings waren es so viele, dass die Redakteure nicht mehr nachkamen.“

Herr Götz weiß auch zu berichten, dass es nach dem 1. Weltkrieg auch Kriegsversehrte gab, die wieder aufs Rad stiegen. In den ersten Nachkriegsjahren habe es sogar Versehrtenklassen gegeben, in denen beispielsweise Einarmige und Einbeinige starteten.

Wir danken Herrn Andreas Götz und dem uns namentlich nicht bekannten Chronisten im BDR für die Suche im Archiv und die schnellen Auskünfte.

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Noch ein Nachtrag: Der Enkel des Radrennfahrers Clemens Schürmann berichtet davon, dass sein im 1. Weltkrieg bereits tot geglaubter Großvater sich als noch am Leben befindlich aus Frankreich meldete:

„Von der ‚Tour de France‘ sende ich Ihnen wie Ihrer werten Familie die herzlichsten Grüsse. Wir sind auf dem Weg nach Paris. Machen täglich 30 bis 35 Km. Hoffentlich hat es bald ein Ende und wir sehen uns wieder. In Maubeuge habe ich auch eine Radrennbahn gefunden und mit einem Kameraden habe ich dort ein kleines Match gefahren.“

Quelle und viele weitere Informationen.

 

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12 Antworten zu Tote Radfahrer im Park

  1. kreuzbube schreibt:

    Twobeers sei Dank für die Ergänzung des Textes, die ich in dieser Minute vornehme. Er hat nämlich recherchiert und sich auch mit dem BDR in Verbindung gesetzt, welcher Fragen zum Denkmal beantwortet und einen Text mit Fotos mitgeschickt hat und derzeit weiteren Fragen nachgeht.

    Harren wir also weiterer Informationen.

  2. donferrando schreibt:

    Ja, Kreuzbube, da hast Du nicht Unrecht.
    Ich weiß allerdings auch, daß die Kriegserlebnisse meines Vaters auch mich durch sein Verhalten als Vater starken Einfluß genommen haben.
    Freunde, die jüngere Väter hatten, waren mit vielem Wahnsinn zu Hause gar nicht konfrontiert.

    • kreuzbube schreibt:

      Mit 1871 (um mal bei mark793 zu bleiben) kann man sich aus historsichem Interesse, aber innerlich unbeteiligt beschäftigen. Da mögen Krupps Kanonen Paris sturmreif geschossen haben, da mögen die Deutschen in Versailles erstmals wieder einen Kaiser gekrönt haben. Das ist weit genug weg, als dass noch irgendwer, und sei es durch die Familiengeschichte, emotional und seelisch beteiligt wäre. Dadurch sind aber auch Ressentiments und Vorbehalte entfallen, wodurch man sich dem Geschehen ohne Voreingenommenheit nähern kann. Ähnliches sieht man ja derzeit Hinsicht des 1. WK, für den sich wieder vermehrt Menschen interessieren, die jung genug sind, damit er weit genug von ihnen weg ist. So wie mir das geht, wenn ich vor dem Radfahrerdenkmal stehe. Ich denke da an getötete Radfahrer, nicht an getötete Vaterlandsverteidiger.

      twobeers hat gerade noch ein paar Zeilen geschickt zum Thema Radfahrer im 1. Weltkrieg:

      Unter den Opfern des Krieges einige der berühmtesten Radrennfahrer dieser Zeit
      ***
      Petit-Breton
      Frankreich
      Sieger der Tour de France
      1907 und 1908
      ***
      Francois Faber
      Luxemburg
      Sieger der Tour de France 1909
      ***
      Oktave Lapize
      Frankreich
      Sieger der Tour de France 1910

      http://www.poepperl.de/1915krieg.htm

  3. kreuzbube schreibt:

    @mark793: Ich denke, es müssen immer erst einmal zwei, drei Generationen vergehen, bis man sich mit ausreichend Abstand den historischen Geschehnissen nähern kann. Ich kann da auch Familienangehörigen nicht unbedingt alles glauben. Jene, die selbst am Krieg beteiligt waren, auf welche Weise auch immer, müssen mit dem leben, was ihnen widerfuhr und was sie selbst taten. Es ist wohl unvermeidlich, dass man sich die Erlebnisse zurecht biegt, um fortan irgendwie damit umgehen zu können.

  4. kreuzbube schreibt:

    Gerade lese ich, dass das Thema „kriegsversehrte Radsportler“ wieder akuell wird. Der britische Prinz Harry hat einen sportlichen Wettbewerb für kriegsversehrte Soldaten ins Leben gerufen. Eine der Disziplinen soll das Radfahren sein.

    Allerdings ist das wohl etwas anderes, als Twobeers meinte. Nach 1918 gab es bestimmt keine Paralympics für kriegsversehrte Soldaten. Ob die wohl bei regulären Wettbewerben angetreten sind?

  5. donferrando schreibt:

    Meine beiden Großväter haben am WK 1 teilgenommen. Von einem habe ich noch ein Fotoalbum und Briefe an seine Eltern.
    Ein Großonkel war Matrose und erzählte vom u.a. Aufstand 1918
    Außerdem viele Geschichten aus zweiter Hand.
    Besonders im Elternhaus meiner Mutter war das Thema präsent.

    • prieditis schreibt:

      Als Kind habe ich ab und an unseren Nachbarn (Jahrgang 84) ausgefragt, der damals schon das Methusalemalter von 95 Jahren erreicht hatte.

    • mark793 schreibt:

      Mein Großvater mütterlicherseits hat auch im WK I gekämpft – mit körperlichen Folgen, die ihn davor bewahrten, im WK II nochmal ran zu müssen. Mit Radfahren war es aber auch vorbei.

      Gemessen an der Präsenz des Zweiten Weltkriegs in den Familiengeschichten war der Erste aber schon fast so weit weit weg wie 70/71.

      • kreuzbube schreibt:

        Auch der zweite Weltkrieg war bei uns nicht sehr präsent. Mein Großvater mütterlicherseits kam erst irgendwann 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Ich erinnere ihn als auf dem Sofa sitzende leere Hülle eines Menschen, der gerne gerne Obst pflückte und Pilze sammelte und die Katze fütterte. Viel mehr kann ich nicht über ihn sagen, außer, dass die Russen schuld waren. Woran auch immer, an allem. Über Krieg und Gefangenschaft hat er nie gesprochen. Politisch war ein Nazi.

        Mein anderer Großvater war eigentlich nicht mein Großvater, sondern heiratete meine Großmutter deren Mann im 2. WK gefallen war und zog deren Kinder auf. Auch er sprach wenig über den Krieg. Politisch eher links eingestellt hat er ab und an über Bonzen und Kriegstreiber geschimpft. Er hat dann Jahrzehnte lang auf dem Bau gearbeitet und ist auch nicht mehr Rad gefahren, was er in der Jugend gerne gemacht hat. Er wäre nicht im Traum darauf gekommen, nach einem ganzen Tag auf der Baustelle noch auf dem Rennrad zu trainieren oder gar am Wochenende ausgedehnte Fahrten zu unternehmen. Das wäre für ihn ein absurder Gedanke gewesen. Auf meinem ersten Rennrad saß er mal, das hat ihm ein paar Scherze entlockt, aber er hat es dann schnell wieder zur Seite gestellt.

      • mark793 schreibt:

        In der Kernfamilie war der zweite Weltkrieg, wenn man ihn jetzt mal auf die unmittelbaren Kampfhandlungen von Kombattanten reduziert, auch nicht übermäßig präsent. Eigentlich erst ab Ende der 70er, als meine Patentante einen Witwer ehelichte, der an der Ostfront gekämpft hatte (und sein erzählerisches Pulver aus der Zeit irgendwann verschossen hatte, was ihn aber nicht davon abhielt, seine Schwarten immer wieder zum Besten zu geben, bis Tante Gertrud ihn abwürgte).

  6. twobeers schreibt:

    Wird Zeit, dass ich mal die geographische Mitte der Radsportgaue kennenlerne. Nach dem 1.WK gab es einige Versehrte und Amputierte, die wieder Rennen gefahren sind, leider ist wenig darüber zu erfahren.

    • kreuzbube schreibt:

      Wo Du es gerade erwähnst: Gestern habe ich auf der Karte den Eintrag entdeckt: Mittelpunkt des deutschen Reiches. Vermerkt ist das für das Dorf Krina, ein paar Kilometer östlich von Großem Gotische und Muldestausee und und damit östlich von Bitterfeld gelegen.

      Der erste Weltkrieg ist für uns alle sehr weit weg, schon weil keiner von uns Familienangehörige hat, die in diesen Krieg gezogen sind. Meine beiden Urgroßväter habe ich nie kennengelernt, ich weiß allerdings nicht mehr, in welchem der beiden Kriege sie gestorben sind.

      „Kriegsversehrte Radsportler nach dem 1. Weltkrieg“ dürfte daher ein Thema sein, zu dem der Einstieg per Zufall gefunden werden will.

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