Es lebe der Sport

Mutterseelnallanich sitzt er da bis in da Frua
Und schaut beim Boxn zua
Weu wenn sie zwa in die Bappn haun
Stärkt des sei unterdrücktes Selbstvertraun (Rainhard Fendrich, Es lebe der Sport)

kuchendopingIch habe die Sache eine Weile übergrübelt. Ich war auch nicht immer dieser Meinung. Aber, wenn ich es mir recht betrachte: Sollen sie doch meinetwegen dopen. Bis unter die Hutschnur. Was kümmert’s mich?

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Vor ein paar Jahren, 2007 war’s, da warnte der Radolympiasieger und -weltmeister Jan Schur vor Doping bei Jedermannrennen:

Immer mehr Hobby-Fahrer greifen nach Ansicht des ehemaligen Radprofis Jan Schur zu verbotenen Mitteln. «Sie nehmen auch die gedopten ‚Renner‘ nach wie vor zum Vorbild», warnt der zweimalige Teilnehmer der Tour de France. Deshalb sieht er das wachsende Feld der Hobby-Fahrer auch bei der diesjährigen Deutschland-Tour mit gemischten Gefühlen. «So verdorben wie das gesamte Umfeld ist, müsste man Radsport eigentlich von allen Sendern nehmen, um den Breitensport zu schützen», fordert der 44-Jährige. 

Da denkt man sich zunächst: Hä? Freizeitsportler, die dopen? Doch halt, Stichwort Jedermannrennen, das muss ich zunächst jenen kurz erklären, denen der Radsport eher fremd ist. Es handelt sich um sportliche Veranstaltungen, an denen jedermann teilnehmen kann. Sie finden meist anlässlich „richtiger“ Radrennen statt. Die Teilnehmer zahlen 40- bis 50.- EUR (oder auch deutlich mehr) Startgebühr, um mit ein paar tausend anderen auf Straßen herumzufahren, auf denen sie sonst jeden Tag gratis herumfahren können. Zeiten werden gemessen und veröffentlicht und die Sieger dürfen auf ein Treppchen. Den Radsportveranstaltern bescheren diese Rennen einen warmen Geldsegen, der die Finanzierung der Profirennen erleichtert. Auch die Tourismusbranche freut sich bisweilen. Die Jedermannrennen haben sich mittlerweile zu einer eigenen Rennserie entwickelt; es gibt Teams mit Sponsoren, es gibt Trainingslager im Ausland, es gibt Materialwagen und einheitliche Ausrüstung. Ehemalige Profis gehen an den Start und verstärken Jedermannteams, wie unlängst der des Dopings überführte Ex-Profi Jörg Jaksche.

Weltcup-Abfahrtsläufe machen eam a bisserl müd
Weu er is abgebrüht
Wenn eam dabei irgendwas erregt
Dann nur, wenn’s einen ordentlich zerlegt

Nicht lange nach Schurs Warnung wurde Emanuele Negrini, der dreimalige Gewinner des Ötztalmarathons, einer Radsportveranstaltung für Hobbysportler, des Dopings überführt und darf seither dort nicht mehr starten.

Es wirkt a jede Sportart mit der Zeit a bisserl öd
Wenn es an Härte föht

Im Sommer 2012 wird bekannt, dass beim New Yorker Granfondo (einem Jedermannrennen) zwei Fahrer positiv auf EPO getestet wurden. (Man beachte: Dopingproben beim Freizeitsport)

Und liegt ein Körper regungslos im Schnee
Schmeckt erst so richtig der Kaffee

Im September 2012 stirbt der Amateur-Mountainbiker Frederik Zierke an einer EPO-Spritze. Der Spiegel berichtet:

In Leutkirch im Allgäu ist einer der besten deutschen Amateur-Mountainbiker tot aufgefunden worden, nachdem er sich Neorecormon, ein Epo-Präparat, gespritzt hatte. [] In seiner Leutkircher Wohnung beschlagnahmte die Kriminalpolizei Ravensburg neben dem Epo-Präparat zahlreiche andere Dopingmittel. Darunter befanden sich das Anabolikum Winstrol, Testosteronampullen, das Herzmittel Corotrop sowie Caniphedrin, ein Präparat aus der Tiermedizin, das in der Doperszene als Stimmungsaufheller genutzt wird.

Die taz schrieb schon 2007:

Weltweit werden mit Epo 11,8 Milliarden Dollar umgesetzt. Verordnet werden aber nur Ampullen im Wert von 1,5 Millionen Dollar. Mehr wird von Patienten nicht benötigt.

Wer nimmt das ganze Zeug? 200 Tour de France-Teilnehmer?

Ich kann’s sogar halbwegs verstehen, wenn jemand dopt, dessen finanzielles Auskommen und Existenz davon abhängen. Wer von Jahr zu Jahr sehen muss, bei welchem Rennstall er einen Vertrag abschließen kann, wer zwangsläufig gute Leistungen und Erfolge vorweisen muss, um von seinem Beruf leben zu können, für den liegt die Verlockung nahe. Aber Freizeitsportler, für die es nichts zu gewinnen gibt? Die mal einen Satz Reifen bekommen oder das Rad 40 % billiger, zum Einkaufspreis?

Der Westen berichtet über dopende Fußballer in der Kreisliga.

Der Sportsoziologe der TU Darmstadt hat für seine Doktorarbeit auch mit vier dopenden Kreisliga-Kickern gesprochen. In einem Fall dopte am Ende die gesamte Mannschaft mit Ephedrin. Das Aufputschmittel macht Spieler auf dem Platz aggressiver, schneller, wacher.

Sportler werden überführt, neue Kontrollmethoden werden eingeführt… Sportler werden überführt, neue Kontrollmethoden werden eingeführt… Sportler werden überführt… Ich habe noch die Bilder vor Augen, als in den 90er Jahren bei der Tour de France einzelne Rennfahrer mitten aus dem Rennen heraus abgebogen und schnurstracks über die Grenze geflüchtet sind, damit die französische Polizei sie nicht verhaftet. Da war richtig was los, damals, alles live und in Farbe in die heimischen Wohnstuben gesendet. Mit dem Doping ging es trotzdem bis heute munter weiter.

Heiterkeit auf der Tribüne
Das ist halt am Sport das Schöne

Der Kampf gegen Doping wird wohl ähnlich „erfolgreich“ sein wie der Kampf gegen illegale Drogen. Die sind verboten, kaufen kann man sie trotzdem. Selbst man es schaffen sollte, mit enormen Anstrengungen und unter grotesker Einschränkung persönlicher Freiheiten die zahlenmäßig wenigen Profis rund um die Uhr zu kontrollieren, wird dies in der Amateurszene nie auch nur ansatzweise möglich sein. Der personelle und finanzielle Aufwand lässt sich nicht betreiben. Wo man Schwierigkeiten hat, eine  Fussballpartie mit einem Schiedsrichter zu besetzen, ist es völlig illusorisch, Dopingproben durchzuführen. 

Wenn einer bei der Zwischenzeit
Sich zwanglos von an Schi befreit
Und es ihn in die Landschaft steckt
Dass jeder seine Ohrn anlegt
Wenn er es überleben tut
Dann wird er nachher interviewt

Sollen sie sich reinziehen, was sie wollen. Wer um jeden Preis siegen muss, sogar dann, wenn’s keinen sonst interessiert, der soll sich halt die Dröhnung geben. Ist mir völlig egal. Seine Sache. Wenn er vom Rad kippt, oder in der Halbzeitpause umfällt: Er ist ein erwachsener Mensch, der weiß, auf was er sich einlässt.

Es lebe der Sport
Er ist gesund und macht uns hort
Er gibt uns Kraft, er gibt uns Schwung
Er ist beliebt bei oid und jung
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7 Antworten zu Es lebe der Sport

  1. kreuzbube schreibt:

    Die machen das alles wider besseres Wissen. Das Internet ist voll von Infos der Mediziner verschiedener Fachrichtungen, die davor warnen Sport zu treiben, wenn man krank ist.

    Aus einem Interview mit einem Professor für Sportmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena:

    „Ich darf unter gar keinen Umständen Sport treiben, wenn ich Fieber habe, bei Schwellungen und Schmerzen im Hals, in den Ohren und Kieferhöhlen … beim Infekt der oberen Luftwege. Auch dann: kein Sport! Andererseits kann der Sportgeübte bei einem leichten Schnupfen ein leichtes Training fortsetzen. Dann reichen aber zwanzig Minuten laufen statt einer Stunde. Aber am besten macht man einfach einen ausgedehnten Spaziergang, denn körperlich aktiv bleiben hilft.“

    Und noch ein Kardiologe im Gespräch mit dem Spiegel, nachdem im vergangenen Jahr ein 25 Jahre alter italienischer Fussballprofi auf dem Platz gestorben war und ein 26 Jahre Schwimmweltmeister während des Trainings.

    Wenn ein Leistungssportler krank ist, sollte er dringen pausieren, auch noch mindestens zwei Wochen nach der Erkrankung. Die Wahrscheinlichkeit einer begleitenden Herzmuskelentzündung liegt bei fünf bis zehn Prozent, lässt sich aber nur schwer diagnostizieren.

    Aber sag das mal jemandem, der in täglicher Furcht vor dem Formverlust lebt.

  2. mifasola schreibt:

    Wenn ich mir überlege, was ich meinem (läuferischen) Umfeld so geschluckt wurde und wird und mit was für großen Augen ich mal angesehen wurde, als ich den Berlin-Marathon wegen einer äußerst verstimmten Achillessehne cancelte (Wieso’n ditte? Painkiller rin un los!), wundert mich nix. In Biel habe ich jemanden mit Fieber starten sehen, konnte aber nicht identifizieren, was er unterwegs einwarf. Und wenn es bei den Amateuren schon so zugeht… Ich hatte für so Aktionen zu Zeiten, als es mir noch um die Zeiten ging, glücklicherweise immer zu viel Schiss.

  3. kreuzbube schreibt:

    Naja, zumindest das Sterbegeld gibt es heute nicht mehr, außer bei Beamten.

    Man muss sich mal das Ausmaß vor Auge halten, dann wird schnell klar, dass es nicht um die wenigen Profis, egal in welcher Sportart, geht. Eine im Auftrag des Bundestags erstellte Studie ergab, dass „weniger als 1 %“ der Deutschen schon gedoped habe. 1 % von 80 Millionen wären immerhin 800.000 Menschen. Verschiedene Dopingexperten sehen diese Zahl als zu niedrig an. Der von der italienischen Regierung beauftragte Dopingexperte (Name weiss ich gerade nicht), der eine weltweite Studie erstellt hatte, hat auch vor dem Deutschen Bundestag eine Rede zur Thematik gehalten und von etwa 1,6 Millionen Deutschen gesprochen, die schon Dopingerfahrung gemacht haben. Beim Bonn Marathon haben 60 Prozent der befragten 1000 Läufer eingeräumt, dass sie vor dem Start Schmerzmittel genommen haben. Noch extremer finde ich, dass die sich bei Medikamenten für Tiere bedienen:

    In Internetforen, aber auch in Sportvereinen und Fitnessstudios geben die Wissenden ihre Erfahrungen weiter. »In vielen Studios gibt es hierarchisch aufgebaute Dopingnetzwerke«, sagt Mischa Kläber. »Sie sind eine Art Geheimgesellschaft.« Deren Mitglieder helfen sich, leiten sich an, einige sind selbst Kleindealer. Jeder kennt jemanden, der ein bestimmtes Mittel besorgen kann. 80 Prozent der von Kläber Befragten dopten unter ärztlicher Aufsicht, fast jeder Dritte konsumiert auch Tiermedikamente. Ventipulmin etwa, ein Asthmamittel für Pferde. Das ist billiger und angeblich einfacher zu beschaffen als gewöhnliche Clenbuterol-Präparate.

    DIE ZEIT: Wenn der Nachbar immer schneller wird

  4. montymind schreibt:

    ich glaube, dass es das ist, was mich daran so nervt: so lange die tausende euros für material, trainingscamps etc. ausgeben, um das gefühl zu haben besser als der oder die andere zu sein, finde ich es zwar ein dummes gehabe, aber es kann mir egal sein.
    wenn dem körper aber im internet erworbene mittelchen (aus nicht bekannten quellen) zugeführt werden, die es nicht in jedem refomhaus gibt, und das pseudowissenschaftlich nach anleitung aus dem internet (dosierung und spritzen!!!), wird das eher früher als später zu einem schaden für die „solidargemeinschaft“ führen. aber die „kasse“ zahlt ja….

  5. carodame schreibt:

    Dieser Link führt in eine Szene von bemuskelten Hobbypharmazeuten mit einer dumpfen Erfolgssucht und mangelndem Respekt vor der Biochemie. Gesundheit ist unwichtig. Die Steigerung der Leistung mit ein paar Mittelchen verschiebt die eigenen Grenzen offenkundig ins Unsichtbare. Egal, ob es für den Sport Geld gibt oder nicht. Es ist eben ein geiles Gefühl. Dafür wird jeder Preis bezahlt. Später, wenn der Stecker gezogen ist, kommt die Dämmerung…

  6. kreuzbube schreibt:

    Die Fußballer haben gerade ihren nächsten Wettskandal…

    Aber es ist ja nicht nur das Geld, deswegen habe ich bewusst die Bespiele aus dem Amateursport gewählt. Ich vermute, dort würde sogar gedopt, wenn die Profis clean wären. Hier erzählt ein Bodybuilder im Jahr 2012 im Internet ganz offen über seine „Kur“ mit Oral-Turinabol:

    Moin, ich habe hier schon so viel tolles gelesen, da wollte ich der Gemeinschaft mal ein wenig zurückgeben und über meine erste Kur mit Anabolika berichten, in meinem fall das milde Oral Turinabol.

    Schöne Formulierung übrigens: „ich fahre nur noch ›gegen meine zeit gestern‹“

  7. exdirk schreibt:

    ich seh das leider genauso: wenn alle dopen, ist das rennen auch wieder offen. ›rollende apotheken‹, deren faszinosum gegen null geht. aber wenn das deren verständnis von sport ist, muss man sie machen lassen; geld korrumpiert jeden sport, leider.. / hat für mich die konsequenz, schon lange nicht mehr an rennen teilzunehmen: ich fahre nur noch ›gegen meine zeit gestern‹.

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