Kreuzbube wirft das Handtuch

„In der Ehe gefallen die Männer den Weibern länger als umgekehrt. Um unter vielen Gründen einen anzugeben, so verlieren die Männer in der Ehe weniger an Schönheit weil sie nur wenige hineingebracht.“ Jean Paul
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Ich sitze gut am Ufer der Mulde, unterm Sonnenschirm, ein Stück Mandarine-Schmand-Kuchen vor mir, Kaffee, ein Glas Wasser. So lässt es sich aushalten, das Warten auf Twobeers, der in der sengenden Sonne den Mulderadweg an mir vorbei kommen sollte. Die Hitze und das Fehlen jeglicher Schattenspender in Nordsachen dürften ihm ganz schön zugesetzt haben. Ich habe das Handtuch dabei, bereit für den Wurf, bereit ihn aus dem Kampf zu nehmen. So kommt es dann auch und wie das bei bei meinem gut strukturierten Mitfahrer eben so ist, ist er mal wieder sehr gut im Zeitplan. Warten muss ich nicht, es reicht gerade einmal für die Hälfte des Kuchens, dann ist er in Sichtweite.

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Zwei Tage später muss ich mir dann selbst das Handtuch werfen. Ich hatte die Sache mal wieder völlig unterschätzt, als ich Twobeers einlud, mal entspannt mit mir zwei Tage lang durch Feld und Flur und tiefen Tann in Oberfranken zu cruisen. Carodame hatte mich noch gewarnt. „Nimm dir nicht zu viel vor. Erinnere Dich an die gerade einmal 25 km um die Burg Kriebstein, die Felsen, Steine, Wurzeln, Baumstümpfe. An das Klettern, Schieben und Schleppen und wie fertig wir danach waren.“ Ich konnte das natürlich sofort entkräften: „Das ist ein Wanderweg. Dient der touristischen Erschließung der Region. Die Leute sollen doch Gastronomie und Beherbergungsgewerbe im strukturschwachen Raum beleben. Das wird eine sanfte Wanderstrecke sein, die können die Gäste doch nicht mit einem knüppelharten Wanderweg abschrecken.“

Doch. Können die.

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Die Rede ist vom Jean Paul Wanderweg, der in Oberfranken so ungefähr von Hof aus via Wunsiedel nach Bayreuth und noch etwas darüber hinaus führt. Jean Paul (1763 geboren in Wunsiedel und 1825 gestorben in Bayreuth) war ein erfolgreicher deutscher Schriftsteller, dessen Werke wie Hesperus – 45 Hundsposttage oder Flegeljahre zu seinen Lebzeiten teilweise mehr gelesen wurden als die Goethes. Jean Paul ist zudem Erfinder einer Reihe von Wörtern der deutschen Sprache wie z.B. Schmutzfink, Angsthase, Gänsefüßchen und auch Weltschmerz. Er ist gerne gewandert und seinen Namen trägt daher der Wanderweg, der durch die Region führt, in der Jean Paul den Großteil seines Lebens verbracht hat.

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Und damit gehen die Märchenerzählungen auch schon los. Denn nie und nimmer ist er da lang gewandert, wo sie uns entlang schicken. Man muss nur aufmerksam die eine oder andere der vielen Tafeln am Wegesrand lesen. Jean Paul war sehr gesellig, er liebte es, zu essen und zu trinken und auf Reisen im Gasthaus den Neuigkeiten und Nachrichten der anderen Gäste zu lauschen. Warum sollte er, statt den direkten Weg zwischen zwei Orten zu wählen, über jeden Berg des Fichtelgebirges gewandert sein? Noch dazu, wo es entlang dieses Wanderweges keine Gasthäuser gibt? Dieser Weg, der ist zu weiten Teilen einfach nur anstrengend, anstrengend, anstrengend. Und er wäre es auch zur Fuß, wofür er gemacht ist.

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Die Umsetzung meiner Schnapsidee, ihn mit dem Mountainbike abzufahren, hat mir Stunden der Wahrheit beschert. Ich habe einfach nichts drauf und es steht zu befürchten, dass sich das auch nicht mehr nennenswert ändern wird. Als Naturerlebnis war es traumhaft schön, aber ich musste mir jeden Meter erkämpfen.

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Ein Abschnitt nach dem anderen verblockt, mit Wurzeln, Baumstümpfen, großen Steinen. Abfahrten stets ein zweifelhaftes Vergnügen, weil sich an sie ausnahmslos die nächste Steigung anschließt.

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Ohnedies kann man die Charakteristik des Weges leicht erklären. An jeder Weggabelung einfach immer den Weg wählen, der steil bergauf führt, das ist dann der richtige, vor allem, wenn er nicht auf Anhieb als Weg zu erkennen ist.

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Am zweiten Tag muss ich dann nach Stunden des Ackerns das Handtuch werfen. Innerlich geschieht das an einem wenig spektakulären Anstieg. Wir mussten ja bis dahin schon einige Mal schieben, aber das hatte dann mit dem Untergrund zu tun.

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Dort jedoch… ich weiß nicht, ob ihr das kennt, man denkt sich: Gott ist das anstrengend! Ich kann nicht mehr! Aber absteigen gilt nicht. Das schaffst Du. Oben wartet Twobeers schon, der das alles mit Bravour bewältigt. Siehst Du, geht doch. Nur noch 30 Meter. Und zwei Meter später clicke ich aus. Steige ab und schiebe. Die Kapitulation.

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Im Grunde war in diesem Moment bereits klar, dass ich das nicht zu Ende fahren kann. Im nächsten Ort, nach einer Erfrischung im und aus dem Brunnen des Friedhofs erbarmt sich Zwoabier meiner. Er entdeckt das Schild des Fichtelberg-Radwanderweges, der uns ebenfalls Richtung Bayreuth bringen soll. Auf deutlich zivilisiertere Weise. Was bin ich froh, dass er mir diesen Ausweg eröffnet. Mit Wollen oder Nichtwollen hat das nichts zu tun. Weitere 25 km oder so auf diesem Wanderweg, oh je, oh je… Wenn eine Pause und kaltes, erfrischendes Wasser aus dem Brunnen gerade mal noch Energie für 5 Minuten bringen, muss sich der kreuzbube nichts mehr vormachen.

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Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen: Missen möchte ich diese beiden Tage keinesfalls. Die Strecke hat uns traumhaft schöne Abschnitte beschert, mal ist der Weg ein fürsorglich gemähter Grünstreifen am Feldrand, mal bietet er weite Ausblicke ins Land. 

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Mehr als einmal führt der Weg uns an Orte im Wald, die man nur als verwunschen bezeichnen kann mit ihren moosbewachsenen Felsen, die um Gewässer herumliegen, während von oben der Wasserfall hinunterplätschert.

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Wir entdecken in etwa 900 Metern Höhe am Osthang des Ochsenkopfes einen der beiden Ursprünge des Mains und können erleben, wie aus einem winzigen Rinnsal im Laufe der Kilometer ein Bach wird, der dann später zum Fluss anwächst.

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Wir laben uns am kühlem Wasser von Quellen und genießen das von Natur aus mit Kohlensäure versetzte Mineralwasser der Quelle in Bad Alexandersbad.

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Wir entdecken in 879 Meter Höhe vor grandioser Felskulisse die Freilichtbühne auf dem Großen Waldstein.

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Wir laufen abends von unserer Herberge mit Flipflops eine weitere halbe Stunde bergauf über Steine und Wurzeln bis wir an der Luisenburg stehen, vor Europas größtem Felsenlabyrinth mit seinen gigantischen Granitblöcken. Die uns empfohlene dortige Gastronomie hat seit 22.08. Saisonende… Wir schlurfen mit den Flipflops weiter durch den Wald bis zu einer Gaststätte, die noch geöffnet hat und bequatschen dann den Mitarbeiter, dass wir statt des Schnapses als Entschädigung für die lange Wartezeit auf den Strudel lieber nach unten in den Ort gefahren werden möchten. Das macht er nach kurzer Überlegungszeit (und wahrscheinlich Rücksprache mit dem Chef) schließlich auch und wir müssen nicht mit den Flipflops durch den nun dunklen Wald zurück. Wir erfahren, dass unser Fahrer aus Halle an der Saale stammt (das sich gerade als Kulturhauptstadt Europas bewerben möchte), im einstigen Zonenrandgebiet Wunsiedel jedoch bessere Jobchancen hat… Magnet für Gäste der Region sind die Festspiele auf der Freilichtbühne der Luisenburg, die in der Sommersaison bis zu 150.000 Zuschauer anlocken und eine Auslastung von 98 % haben. Da schlackert jedes Stadttheater mit den Ohren! Und so weiter und so fort.

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Kurzum, für mich war es alle Mühen wert, aber ohne -große- Mühen geht es nicht ab, wenn man diesen Weg fahren möchte. Es spricht vielleicht für sich, dass wir am ersten Tag keinen einzigen Wanderer auf dem Jean Paul Wanderweg getroffen haben und am zweiten Tag auch keinen, wenn man von ein paar Menschen absieht, die an einem See mit Ferienanlage entlang spaziert sind.

Und wo ich gerade so darüber schreibe und sinniere, könnte ich schon fast wieder losfahren…

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Der Weg.
Zum Weiterlesen: Jean Paul Weg: In fernen Welten aus den Stuben über Sterne
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22 Antworten zu Kreuzbube wirft das Handtuch

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  2. Anneke schreibt:

    Die Fahrbarkeit der Wanderwege…da kann ich ein Liedchen von singen. Schön war euer Ausflug aber allemal, was die Foto’s ja eindeutig belegen. Die Hitze hätte mir zu schaffen gemacht, habe im letzten Jahr aus dem Grunde mal „das Handtuch geworfen“ 😉

    Zufällig habe ich letzte Woche vor einen Stein mit Inschrift in der gleichen Schrift gestanden. Vorwärts, rückwärts, überkopf, spiegelverkehrt…..ich konnte es nicht entziffern.

    • kreuzbube schreibt:

      Man muss halt einfach sehen, dass die Wanderwege -nomens est omen- nun einmal nicht fürs Radfahren angelegt wurden. Höchstens fürs Radtragen… Von der Hitze will ich jetzt gar nicht reden, die Sonne hat mir aus anderen Gründen Probleme bereitet. Meine wichtigste Empfehlung wäre die, eine Radbrille mit phototropen Gläser zu tragen oder eine mit schwächerer Tönung. Ich hatte eine normale Sonnenbrille mit 80er Tönung auf und war im Wald viel im Blindflug unterwegs. Vor allem, wenn es aus dem gleißenden Licht hinein in die Schattenspiele ging. Da habe ich die ersten 50 Meter bisweilen kaum etwas gesehen und bin nur in die Richtung gefahren, in der Twobeers unterwegs war.

      So wie auf dem Stein am Jean Paul Brunnen hat man in Deutschland mal mit der Hand geschrieben. Gab es Entsprechendes in den Niederlanden nicht?

      • twobeers schreibt:

        Meine meistgenutzte Brille hat Gläser in orange und ist selbsttönend. Das reicht für fast alles und selbst nachts ist man nicht im Blindflug unterwegs.

      • randonneurdidier schreibt:

        da habe ich es als Berlin-Brandenburger doch leicht. Wenn ich mich vom alten Fontane durch das Land lotsen lasse. Durch euren wunderbar launigen, kurzweiligen Bildungsbeitrag bekomme ich spontan Lust, in dieser Region auf und ab zu klettern. Und dass Twobeers ein harter Hund ist, wird hier wieder deutlich. Ein Eisenschwein halt!

      • kreuzbube schreibt:

        Eine orangefarbene Brille besitze auch ich. Nur leider nicht selbsttönend, daher im Sommer viel zu hell. Macht im Winter jedoch stets gute-Laune-Wetter. Ich werde mal Ausschau nach einer Ergänzung halten.

  3. suederelben schreibt:

    Sehr schön. Und wenn man nicht so affin zu Mountainbike ist wie ich es bin – dann kriegt man richtig Lust, diese schöne Strecke gleich zu Fuß zu gehen 😄

    • kreuzbube schreibt:

      Unbedingt machen! Wir waren ja auch abschnittweise zu Fuß unterwegs… Abgesehen davon habe ich mir unterwegs überlegt, dass es bestimmt eine schöne Sache wäre, da völlig entschleunigt entlang zu wandern.

  4. prieditis schreibt:

    a) Oah! Mandarine Schmand… großartig!
    b) Schön auch, wie die Brücke den Wanderweg quert.
    c) Beim bekritzelten Stein hab ich unglaublich lange für die Entzifferung der letzten Zeile gebraucht. Fähig- und Fertigkeiten gehen in der Tat flöten.
    d) Tolle Tour, toller Text.

    • kreuzbube schreibt:

      Der bekritzelte Stein ist der Jean Paul Brunnen, der im Fichtelsee-Moor liegt.

      „Zum Gedenken an Jean-Paul, der gerne hier verweilte“

      Als Kind, als die Urgroßmütter und Großmütter noch lebten, habe ich das auch lesen gelernt. Ist heute leider fast alles weg.

  5. mark793 schreibt:

    Man muss wisswen, wann es einem reicht. Jedenfalls hat die Tortour schöne Bilder geliefert.

  6. carodame schreibt:

    Im Stillen habe ich gehofft, dass es für die Männer einfacher wird, dass Jean Paul als Genießer auch schlichtere Wege beschritt, als ihm die „Gänsefüßchen“ einfielen. Aber so sind die Bilder und der Bericht eben Zeugnisse von großer Tapferkeit an diesem superheißen Wochenende.
    Trotzdem musste mich der Kreuzbube gestern nochmal begleiten…

  7. tinotoni67 schreibt:

    Ach ihr Recken habt das fein gemacht. Danke für das nahe bringen der Heimat.

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  9. Twobeers schreibt:

    Mein lieber Kreuzbube, ich bedanke mich für diese schöne Tour bei Dir! Und ich bin jederzeit wieder dabei, ob auf Wanderweg oder Radwanderweg.

    • kreuzbube schreibt:

      Das freut mich zu hören! Wo wir unterwegs waren, gab es übrigens zu Jean Pauls Zeiten gar keine Fichten, die wurden erst im 19. Jahrhundert gepflanzt. Stattdessen:

      „Dort, wo heute dichte Fichtenwälder die Höhenkuppen überdecken, war zu Jean Pauls Zeiten alles gerodet. Die Berge waren oft „kahl und steinicht“ und die lichten Wälder, wenn es denn welche gab, geprägt von Laubbäumen. Es wuchs noch dicht der Wacholder, aber in erster Linie wurde die Landschaft als Weidefläche für Schweine, Rinder und Ziegen genutzt.“

      Seine Wanderungen fanden also in einer Landschaft anderer Art statt und es gab auch mehr Wirtshäuser am Wegesrand.

      Das Erika Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale kann man auch besuchen, es gibt dort eine Dauerausstellung und Sonderausstellung rund um Donald Duck und Entenhausen.

  10. Anja Keller schreibt:

    Ja, ja … die Wanderwege und das MTB. Ich kenne das. In der Planung ist alles so perfekt. Nur die Realität ist ab und an ein Spielverderber. … Und doch sind solche Touren herrlich 😊👍

    • kreuzbube schreibt:

      Meine Vorbereitung und Planungen beschränkten sich mehr oder minder darauf:

      Das ist auch gut so. Umso größer sind die Überraschungen unterwegs. Ich plane nicht alles durch, das lässt mehr Spielraum, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Und wenn ich stets wüsste, was mich erwartet, würde ich es vielleicht gar nicht machen…

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